Dienstag, 22. November 2011

Die Wirklichkeit durch Fiktion bedrohen

Kunst ist etwas, das der gesellschaftlichen Wirklichkeit etwas Starkes entgegensetzen kann. Und dieses Etwas ist für eine Gesellschaft notwendig – für eine Gesellschaft, in der solche Katastrophen wie in Japan geschehen sind, erst recht. Denn wenn es dieses Etwas, eine Antithese, nicht gibt, dann müssen die Menschen glauben, es gebe nur diese einzige Wirklichkeit.

Dieses starke Etwas, welches der gesellschaftlichen Realität entgegengesetzt wird – womöglich können wir es mit anderen Worten Fiktion nennen. Ohne es zu merken, begann ich, durch den Begriff der Fiktion über das Theater nachzudenken. Bis dahin hatte ich noch nicht auf diese Weise über Theater nachgedacht. Das lag zum einen daran, dass ich den Wert von Fiktion nicht erkannt hatte. Ich verstand Wirklichkeit als „Wahrheit“ und Fiktion als „Lüge“ und „Erfundenes“. An bloßer „Lüge“ und „Erfundenem“ hatte ich kein Interesse. Aber ich erkannte, dass dies ein Irrtum war.

Was die Wirklichkeit betrifft, so ist sie nichts ‚Wahres’. Sie ist nicht mehr als die zu einem gegenwärtigen Zeitpunkt vorerst einflussreichste Fiktion. Fiktion ist weder bloße ‚Lüge’ noch ‚Erfundenes’. Sie ist rezessive Wirklichkeit. Daher bedroht eine starke Fiktion die Wirklichkeit. Sie hält der Wirklichkeit eine alternative Möglichkeit entgegen.

Toshiki Okada, Theater der Zeit, Oktober 2011

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